Der Kollektivvertrag (KV) ist eine schriftliche Vereinbarung, die die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Branche jährlich mit der Arbeitgeberseite aushandelt. Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie jährliche Lohnerhöhungen sind entgegen der Wahrnehmung vieler Arbeitender nicht gesetzlich garantiert, sondern in den Kollektivverträgen geregelt. Aber auch Mindestlöhne und Grundgehälter, Arbeitszeiten sowie Kündigungsfristen sind traditionell Teil der KVs.
Nein, aber die Tarifabdeckung liegt hierzulande laut Martin Müller, Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), bei etwa 98 Prozent aller Beschäftigten. In Deutschland seien es nur etwa die Hälfte. Nicht durch einen Kollektivvertrag gedeckt sind all jene Berufsgruppen ohne Arbeitgebervereinigung, beispielsweise die Gewerkschaften selbst, sowie manche Freizeit- und Vergnügungsbetriebe. Aber auch die restlichen zwei Prozent müssten sich laut Müller an üblichen Gehältern orientieren, um an Personal zu kommen. Im Gegensatz zu unserem deutschen Nachbarn beträgt die Laufzeit der KV-Abschlüsse auch nur ein Jahr. Das heißt, in den nächsten Lohnrunden ab Herbst wird das Gehalt in Hinblick auf die diesjährige Inflationsrate erneut verhandelt.
Neben dem prozentuellen Anheben der Gehälter wurden außerdem in einzelnen Branchen und Unternehmen Teuerungsboni ausverhandelt. Zum Beispiel in der Telekommunikationsbranche: Die Gehälter, Zulagen und Gehaltsansätze bei den Beamten werden um 7,3 Prozent erhöht. Zusätzlich erhalten die A1-Bediensteten einen Teuerungsbonus von 2750 Euro netto. Jene 5000 Beschäftigten der Telekombranche, die nicht in den A1-KV fallen, erhalten eine zweiteilige Erhöhung von vier und 3,5 Prozent sowie einmalig 1500 Euro als steuerfreie Teuerungsprämie. In der Elektro- und Elektronikindustrie laufen die Verhandlungen aktuell noch, gefordert werden neben einer Lohnerhöhung von 12,9 Prozent auch zusätzliche Urlaubstage.
Die österreichischen Gewerkschaften schließen jährlich über 450 Kollektivverträge ab. „Der Kollektivvertrag der Beschäftigten folgt im Grunde der Gewerbeberechtigung des Arbeitgebers“, erklärt Martin Müller. Ein Beispiel dafür sei der Bereich Pflege mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Verträgen je nach Trägerorganisation. „Natürlich wäre eine Vereinheitlichung der Verträge wünschenswert, aber realistisch ist sie nicht“, sagt er. Allein eine Einigung zwischen Bund und Ländern sei schwierig, hinzu kommen auch private und staatliche Träger.
Nein. Die hohe KV-Abdeckung mache die Forderung nach einem gesetzlich einheitlichen Mindestlohn jedoch laut Gewerkschafter Müller auch obsolet. In Deutschland sei nicht nur die Abdeckung durch Tarifverträge niedriger, sondern es hätte – anders als in Österreich – auch einen immer größer werdenden Niedriglohnsektor gegeben, mit Stundenlöhnen unter drei Euro.
Auch für Berufsgruppen, die derzeit oft prekär beschäftigt sind – zum Beispiel Lieferfahrerinnen und Paketzusteller –, gibt es entsprechende Kollektivverträge. „Das Problem sind die Organisationskonstrukte dahinter, also meist Subunternehmen, die die Beschäftigten in eine Scheinselbstständigkeit drängen“, erklärt Müller. An dieser Umgehung würde auch ein gesetzlicher Mindestlohn nichts ändern. Aber auch Teilzeitbeschäftigte, die unfreiwillig aufgrund ihrer Lebenssituation oder Betreuungspflichten Stunden reduzieren müssten, hätten von einem gesetzlichen Mindestlohn keinen finanziellen Vorteil. Der Gewerkschafter betont jedoch: „Handlungsmöglichkeiten, um die Situation dieser Personengruppen zu verbessern, gäbe es genug.“ (Anika Dang, 7.4.2022)
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